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An einem gemeinsamen Ziel arbeiten

Der neue Intendant des Hamburg Ballett Demis Volpi im Gespräch

von Vivien Arnold
Herr Volpi, zum Zeitpunkt dieses Interviews haben Sie nur noch wenige Wochen als Direktor des Ballett am Rhein vor sich und treten in zwei Monaten Ihr Amt als neuer Intendant des Hamburg Ballett an. Wie geht es Ihnen?
Es ist natürlich ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits ist da der Abschied von Menschen, mit denen ich sehr eng zusammengearbeitet habe. Wir haben hier in Düsseldorf gemeinsam etwas aufgebaut, was am Ende vielleicht sogar größer geworden ist, als wir es uns ursprünglich vorgestellt haben. Dies zu verlassen, fällt mir natürlich schwer. Was es einfacher macht ist, dass ich auf eine Zukunft in Hamburg blicken kann, in der ein Ensemble auf mich wartet, das mir und meinen Ideen mit großer Offenheit begegnet ist und sich ganz offensichtlich auch auf diese neue gemeinsame Zeit freut. Das gibt mir eine enorme Hoffnung. Es ist eine unglaubliche Aufgabe, die mir bevorsteht, und ich bin sehr gespannt auf das, was kommt.

Genau genommen sind Sie seit 15 Monaten der designierte Intendant des Hamburg Ballett. 15 Monate ist verhältnismäßig sehr knapp, um eine Spielzeit zu planen und dann auch zu realisieren. Wie sind Sie denn da vorgegangen?
Das stimmt. Ich konnte aber für Hamburg gleichermaßen arbeiten wie in Düsseldorf, nämlich mit einem sehr guten Team und wir konnten sehr schnell eine gemeinsame Vision entwickeln und umsetzen. Ich war positiv überrascht, dass alle Künstler*innen, die ich kontaktiert habe, sich trotz der Kurzfristigkeit sehr schnell bereit erklärt haben, Teil dieser neuen Ära zu sein.

Das Wort Teamarbeit fällt sehr oft ...
Nun, ich bin in Stuttgart aufgewachsen, im größten Drei-Sparten-Haus Europas (Oper, Ballett, Schauspiel) mit rund 1400 festangestellten Mitarbeiter*innen. Es hat mich schon als Tänzer und dann als junger Choreograf extrem fasziniert, wie da die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen, um an einem gemeinsamen künstlerischen Ziel zu arbeiten, und dadurch Wunder auf der Bühne geschehen zu lassen. Das hat mich sehr geprägt in der Art, wie ich arbeite und arbeiten will. Ich habe mich immer mit Menschen umgeben, die genau das können, was ich nicht kann, und das hat sich bis jetzt immer als Stärke erwiesen.

Blicken wir auf die Spielzeit 2024–25. Es gibt viel Bewährtes aus dem reichhaltigen Repertoire von John Neumeier, aber auch viel Neues – sowohl für das Publikum als auch für die Tänzer*innen. Wie finden Sie da die Balance zwischen Beidem?
Eines ist für mich klar, nämlich dass das Hamburg Ballett als künstlerisches Kollektiv wie keine andere Compagnie in Deutschland das Handlungsballett geprägt hat. Das hat selbstverständlich mit der Arbeit von John Neumeier zu tun, aber auch mit den Tänzer*innen, die dafür eine besondere Gabe haben. Ich glaube also, dass es eine unserer Kernaufgaben ist und bleibt, literarische Werke in Tanz umzusetzen. Um das zu tun, müssen wir natürlich dieses Genre weiterdenken; so paradox sich das auch anhört: um das Handlungsballett zu bewahren, werden wir immer wieder neue Wege gehen müssen. Gleichzeitig präsentieren wir in der ersten Spielzeit neue choreografische Handschriften, um den Tänzer*innen und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich neuen Formen des Tanzes anzunähern.

Sie erwähnten das literarische Handlungsballett. Am Ende Ihrer ersten Spielzeit kreieren Sie Demian nach Herman Hesse. Warum ausgerechnet dieses kurze Buch?
Die Idee, aus diesem Buch ein Ballett zu machen, trage ich seit einer Weile mit mir herum. Nun habe ich endlich die richtige Compagnie, um es umzusetzen. Außerdem hoffe ich, durch dieses Ballett möglichst viele Menschen zu animieren, sich mit diesem Stoff auseinander zu setzen. Wir leben gerade in einer Zeit, die stark an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erinnert, und gleichzeitig haben wir eine ganze Generation, die sich mit ihrer Identitätssuche auseinandersetzt. In diesem Buch geht es genau darum: um die Suche nach der eigenen Identität und wie wir uns im Kontext anderer definieren.

Nun zu den Ur- und Erstaufführungen: Wie ist Ihre Wahl auf diese fünf Choreograf*innen gefallen?
Pina Bausch ist eine der wichtigsten deutschen Choreografinnen des 20. Jahrhunderts. Ich finde, dass gerade das Humanistische in ihren Werken, eine Verbindung zu John Neumeiers Balletten aufweist. Spannend ist, dass wir gemeinsam mit der Pina Bausch Foundation das Werk rekonstruieren werden. Das wird eine besondere Erfahrung für die Tänzer*innen. Hans van Manen und William Forsythe wiederum haben sich – jeder auf ganz unterschiedliche Art und Weise – intensiv mit der klassischen Tanzsprache auseinandergesetzt. Und das ist ja eine der großen Fragen, die wir vor uns haben: Wie entwickeln wir diese jahrhundertalte Kunstform weiter? Diese beiden Choreografen haben es getan und beide gehören in das Repertoire einer heutigen Ballettcompagnie. Die Arbeit von Justin Peck – die dem ersten Ballettabend seinen Titel gibt – habe ich aus dem gleichen Grund ausgesucht. Er ist ein Künstler der neuen Generation, der auf eine sehr frische und leichte Art das Ballett weiterentwickelt, aber ohne es zu forcieren. Aszure Barton wiederum ist eine außergewöhnliche Künstlerin, weil sie sehr eklektisch ist und sich immer wieder anderer Sprachen und Formen bedient. Dabei lässt sie sich sehr intensiv auf die Künstler*innen, mit denen sie gerade kreiert, ein. Auch das passt zum Hamburg Ballett.

Wenn Sie jede*n dieser Künstler*innen mit wenigen Worten beschreiben müssten ...
Zu Pina fällt mir ihr berühmter Satz ein: "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!". Van Manen: sinnlich und edel. Forsythe: virtuos und scharfsinnig. Peck: dynamisch und zugänglich. Barton: vielfältig und unvorhersehbar.

Wie steht es mit den Tänzer*innen? Sie haben vergleichsweise sehr wenige Änderungen im Ensemble vorgenommen.
Ich habe mich öfters gefragt, warum ein neuer Intendant oder eine neue Intendantin so oft so viele Künstler*innen austauscht. Denn: die Compagnie, das sind doch die Tänzer*innen! Sie sind es, die jeden Abend auf der Bühne stehen. Das Hamburg Ballett ist eine Compagnie, der ich seit Langem folge und die ich bewundere, und ich bekenne mich zu diesen Tänzer*innen. Und das große Interesse sowie die inspirierende Neugierde auf meine Pläne für die Zukunft seitens der Tänzer*innen hat meinen positiven Eindruck nur bestätigt.

Sie sind ja auch Intendant der Ballettschule des Hamburg Ballett. Wird die enge Verbindung zwischen Compagnie und Schule bestehen bleiben?
Das ist unabdingbar! Es gibt den jungen Tänzer*innen die Möglichkeit, Einblicke zu gewinnen in unsere "Hausbzw. Compagniekultur", für die sie sich dann – hoffentlich – entscheiden werden, und wofür sie sich dann auch perfekt eignen. Es ist großartig, dass Compagnie und Schule unter einem Dach arbeiten; die Synergien, die daraus entstehen, sind sehr wertvoll. Ich möchte den Schüler*innen Begegnungen mit den Gastchoreograf*innen ermöglichen, damit auch sie sich ebenfalls für neue Tanzsprachen öffnen.

Nun eine persönliche Frage: Wie kommt es, dass Sie drei Sprachen – Spanisch, Englisch und Deutsch – perfekt beherrschen?
In Buenos Aires, wo ich aufgewachsen bin, habe ich eine deutsche Schule besucht; anschließend dann die National Ballet School in Toronto, wo ich Englisch gelernt habe. Aber eigentlich spreche ich vier Sprachen, denn der Tanz ist ja auch eine! Und zwar die universellste, die es gibt!

Letzte Worte?
Mein Traum wäre, dass alle Bürger*innen von Hamburg teilhaben können an dem, was wir tun, und das bedarf, dass man auf die Menschen zugeht und sich austauscht. Ich sehe im Tanz ein enormes Potential: Jeder Mensch kann tanzen bzw. sich auf eigene Art und Weise bewegen. Und ich glaube, dass wir darüber tiefe zwischenmenschliche Verbindungen schaffen können. Diesen Bereich – nennen wir es "Outreach" im besten Sinne des Wortes – möchte ich ausbauen. Insgesamt sehe ich es so, dass wir mit unserem Publikum und mit den Menschen in Hamburg eine gemeinsame Reise antreten und ich freue mich darauf.

Demis Volpi's Biography
 

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