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Ballett von John Neumeier

Purgatorio

Gustav Mahlers Zehnte Sinfonie besitzt für mich eine ungeheure Suggestivität, man denke nur an die Bemerkung auf der Titelseite des vierten Satzes: "Der Teufel tanzt es mit mir" - Assoziationsräume, die sich weiten und in mir das Bedürfnis wecken, sie mit eigenen Bildern zu füllen.

John Neumeier


Musik: Alma Maria Schindler-Mahler – Lieder, Gustav Mahler – Zehnte Sinfonie (Konzertfassung des Entwurfs: Deryck Cooke)
Choreografie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzept: John Neumeier

2 Stunden 30 Minuten | 1 Pause
1. Teil: 40 Minuten, 2. Teil: 80 Minuten

URAUFFÜHRUNG:
Hamburg Ballett, Hamburg, 26. Juni 2011
Die erste Satz wurde am 4. März 1980 in Brüssel für das Ballet du XXième Siècle als Teil des Balletts "Lieb' und Leid und Welt und Traum" kreiert

ORIGINALBESETZUNG:
Gustav Mahler: Lloyd Riggins, Aleix Martinez, Alexandr Trusch, Konstantin Tselikov, Kiran West
Alma: Hélène Bouchet
Walter Gropius: Thiago Bordin
creator spiritus: Alexandre Riabko
die Mutter: Anna Polikarpova
Adagio: Joëlle Boulogne, Carsten Jung
Scherzo: Anna Laudere, Edvin Revazov

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Vor der Aufführung zu lesen

Im Sommer 1910 arbeitet Gustav Mahler an seiner Zehnten Sinfonie, die ein knappes Jahr vor seinem Tod unvollendet bleiben wird. Mahlers sinfonisches Vermächtnis trägt starke autobiografische Züge. Am Ende seines Lebens ist das Werk Ausdruck einer tiefen existentiellen Krise des Komponisten.

Die Affäre seiner Frau Alma mit dem jungen Architekten Walter Gropius versetzt ihn in Anfälle schierer Verzweiflung und macht ihm deutlich, dass er ohne sie nicht leben kann.

Anfang Juni befindet sich Alma in Tobelbad, in dem steirischen Heilort unterzieht sie sich einer mehrwöchigen Kur. Allein bezieht Mahler das vertraute Sommerdomizil in Toblach in den Südtiroler Dolomiten. In der Nähe des Trenkerhofes hat Mahler ein Komponierhäuschen errichten lassen, das auf engem Raum einen Blick auf das Hochpustertal bietet.

Wenige Tage nach Almas Ankunft in Toblach erreicht ein an Mahler gerichteter Brief die Abgeschiedenheit des Trenkerhofes. Der Komponist erfährt von der Affäre seiner Frau mit Walter Gropius und unterbricht für eine reichliche Woche die Arbeit an seinem neuen Werk.

Erstmals seit ihrer Heirat wendet er sich Almas musikalischem Werk zu, das eine Sammlung von Liedern umfasst, und entschließt sich, ihr die Widmung der Achten Sinfonie anzutragen.

Mutmaßlich setzt Mahler seine Komposition mit dem dritten Satz fort und nennt ihn "Purgatorio", ein aus Qual und Beklommenheit hervorgebrochenes Mittelstück, wie es der zwischen den Noten stehende Ausruf "O Gott! O Gott! Warum hast du mich verlassen" dokumentiert. Mahler arbeitet an einer seelischen Säuberung, die ihm Almas neuerliche Zuneigung einbringen soll. Doch führt ihn seine Höllenfahrt tiefer zurück in die Anfänge seiner Kindheit, zu seiner Mutter, deren "verlittenes" Gemüt er an seiner Frau vermisst. Sigmund Freud erkennt darin einen "Marienkomplex", in dem sich die Gefahr eines drohenden Verlustes mit den ersten Anzeichen einer Auslöschung unheilvoll spiegelt.

Es scheint ebenso wahrscheinlich, dass Alma gleichermaßen ein Purgatorium zu durchstehen hat, wie John Neumeier vermutet: "Das Wort Purgatorium beschreibt für mich den Kern der Beziehung von Alma und Mahler. Beide plagten Zweifel, als sie in die Ehe gingen. Aus Sicht Mahlers war es völlig klar, dass er sich in erster Linie als Künstler sah, er wollte Alma als Gefährtin an seiner Seite haben, als Begleiterin seines Künstlertums. Alma hat das sicher anders gesehen. Ich denke, dass sie mit dem Aufgeben ihrer eigenen Kunst die Hoffnung verknüpft hat, stärker in seine Arbeit einbezogen zu werden."

Kurz vor seinem Tod im Oktober 1976 veröffentlichte der britische Musikforscher Deryck Cooke seine sogenannte Konzertfassung des Entwurfs der Zehnten Sinfonie, eine Aufführungsversion des fragmentarischen Opus ultimum, die sich nicht als Mahlers letztes Wort versteht.

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